„Maschinen können manches besser als Menschen“

„Maschinen können manches besser als Menschen“

Vinton G. Cerf gilt als ein "Vater des Internets". Jetzt spricht er über seine Vision von Künstlicher Intelligenz und wie man mit den gesellschaftlichen Implikationen des maschinellen Lernens umgeht.

Als „Vater des Internets“ beherrscht Vinton G. Cerf sein Metier. Rückblickend erinnert er sich an eine Zeit, in der die Menschen mehr miteinander sprachen. Die Skepsis gegenüber neuen Technologien war jedoch immer vorhanden. Bildung ist für ihn der Schlüssel zur Bewältigung der gesellschaftlichen Implikationen des maschinellen Lernens und der künstlichen Intelligenz.

Haben Sie als einer der „Väter des Internets“ alles vorausgesehen, was durch Datenerfassung und maschinelles Lernen möglich geworden ist?

Vinton G. Cerf
VINTON G.CERF ist Vizepräsident und Chief Internet Evangelist bei Google. Er trägt zur globalen Politikentwicklung und zur weiteren Verbreitung des Internets bei. Cerf ist bekannt als einer der „Väter des Internets“ und Mitgestalter der TCP/IP-Protokolle und der Architektur des Internets. Er war in leitenden Positionen am MCI, der Corporation for National Research Initiatives und der Defense Advanced Research Projects Agency sowie an der Fakultät der Stanford University tätig. (Bild: Getty Images/David S. Holloway)

Vinton G. Cerf: Natürlich habe ich nicht alles vorausgesehen, aber Bob Kahn und ich haben das Design mit Blick auf globalen Service und Expansion in allen Dimensionen – also  Reichweite, Geschwindigkeit und Anwendungen – entworfen. Das Design war bewusst offen für neue Protokolle und neue Möglichkeiten, Datenpakete zu transportieren – z.B. Lichtwellenleiter kamen lange nach dem Design von 1973. Wir wussten auch, dass aufkommende Netzwerke soziale Medien sein würden, wie wir das bereits in den früheren ARPANET-E-Mail-Listen gesehen hatten. Smartphones waren eine Überraschung, aber wir hatten bereits tragbare Geräte (Laptops und Pads) gesehen und Alan Kay hatte bereits 1968 seine Idee für den FLEX-Computer beschrieben, der das prototypische Konzept für den Laptop war. Das System ist um Faktoren von 1 bis 10 Millionen skaliert – kein schlechter Wert.

In den ersten Tagen des Internets gab es die Befürchtung, dass Regierungen das Internet übernehmen könnten. Jetzt sehen Sie, wie die Macht der Unternehmen im Internet wächst: eine kleine Gruppe von Unternehmen wie Amazon, Facebook, Google oder Apple beherrschen eine enorme Datenmenge und beeinflussen damit die Gesellschaft. Wen müssen wir jetzt fürchten: Regierungen oder Unternehmen?

Cerf: Regierungen können noch immer das Netz übernehmen – Abschaltungen in Togo und in Ägypten während des Arabischen Frühlings, Filterung und Blockaden in China – dies sind alles Manifestationen davon. Der Privatsektor ist nach wie vor sehr wettbewerbsintensiv. Es tauchen von Zeit zu Zeit immer wieder neue Wettbewerber auf – denken Sie an eBay, PayPal, Yahoo!, Google, Facebook, Twitter, Snapchat, Amazon usw. Ich denke, es gibt eine Menge zu befürchten im Bereich Sicherheit (denken Sie an den jüngsten Equifax-Sicherheitsverstoß, das Hacking bei den Russen beziehungsweise Chinesen, OPM, State Department und das scheinbare Hacking der NSA-„Tools“), und das gilt für den privaten Sektor und die Regierung gleichermaßen.

Vor 50 Jahren hatte das Buch „The New Industrial State“ von Kenneth Galbraith einen ähnlichen Ansatz. Es erklärte, dass die damals wertvollsten Unternehmen aufgrund ihres Marktwertes und ihrer Macht über die Gesellschaft die Regierung und ihre Kompetenzen ablösen würden. Die Folge wäre ein Gesellschaftsstaat. Diese Vorhersage hat sich nicht erfüllt. Also: sind die heutigen Sorgen nur die wieder aufgesetzten Behauptungen von Galbraith, oder ist der allgemeine Kontext diesmal anders?

Cerf: Nein, die Regierungen werden immer die Oberhand haben. (Sie haben grundlegende Macht, die die Privatwirtschaft nicht hat.) Das bedeutet nicht, dass die Privatwirtschaft machtlos ist. Große Unternehmen mit viel Umsatz und Vermögen sind in der Lage, erstaunliche Dinge zu tun (Denken wir beispielsweise an Elon Musk mit SpaceX und Tesla).

Ein weiteres Buch, „Future Shock“, befasste sich mit den Folgen des technologischen Fortschritts für die Gesellschaft. Dieses Buch von Alvin Toffler betonte nicht so sehr die Kontrolle über die Gesellschaft, sondern vielmehr die Auswirkungen, die der Fortschritt auf eine Bevölkerung haben kann, wenn er sich über das Verständnis der Eliten und des durchschnittlichen Menschen hinaus beschleunigt. Befinden wir uns in einer Zeit, in der der Fortschritt tatsächlich ein solches Tempo erreicht hat, dass die Gesellschaften eine Pause einlegen müssen?

Cerf: Ich denke, wenn wir im Jahr 1901 leben würden, würden wir das gleiche Gespräch über das Telefon, die Elektrizität, Autos, das Radio und so weiter führen.

Nach den letzten Präsidentschaftswahlen in den Vereinigten Staaten behauptete ein Datenerfassungsunternehmen, für den Ausgang der Wahl verantwortlich gewesen zu sein. Ist es Ihrer Meinung nach bereits möglich, die Gesellschaft durch Micro-Targeting derart gründlich zu beeinflussen, oder hat dieses Unternehmen nur angegeben?

Cerf: Das ist vor allem Prahlerei, aber es gibt klare Beweise dafür, dass Micro-Targeting funktioniert (denken Sie an Werbung). Das ist also keine triviale Angelegenheit oder eine, die man nicht weiter beachten sollte.

Die Entwicklungen beim Machine Learning haben Fragen bezüglich der Zukunft der Arbeit aufgeworfen. Arbeitsplätze in den Händen des Menschen können heute von Algorithmen und Datenwissenschaft übernommen werden. Dies kann sich nicht nur auf die Fertigungsarbeit auswirken, wie es in der Vergangenheit der Fall war, sondern auch auf hochqualifizierte Arbeitskräfte in der Medizin, in der Gesetzgebung und im Bankwesen. Welche Szenarien halten Sie kurz- und mittelfristig für realistisch?

Cerf: Ich denke, dass auf lange Sicht viele Arbeitsplätze verloren gehen und viele neue geschaffen werden – die Herausforderung besteht darin, Menschen umzuschulen, deren Arbeitsplätze automatisiert wurden oder noch werden, damit sie die neuen Aufgaben erfolgreich bestehen können.

Eine weitere Folge dieser Entwicklung ist die Verteilung des Vermögens. Zum ersten Mal in der Geschichte müssen Menschen vielleicht nicht körperlich und handwerklich bis zur Erschöpfung arbeiten, aber es stellt sich die Frage, was der Mensch tun wird, was seine Arbeit sein wird und wie er oder sie dafür entschädigt wird.

Cerf: Es gibt eine wachsende Ungleichheit in der Vermögensverteilung und ich denke, das birgt gesellschaftliche Risiken. Ob wir ohne Geld zu Star Treks 24. Jahrhundert kommen, ist noch offen. Geld hat seinen Nutzen als Tauschmittel – es ist funktional – und das ist sehr nützlich. Ein Übergang in einen solchen Zustand wie in Star Trek ist Gegenstand vieler spekulativer Überlegungen.

Wie sehen Sie persönlich die Zukunft der Arbeit? Sicherlich werden wir nicht alle Maler oder Dichter werden.

Cerf: Ich denke, die Leute werden weiterhin nach produktiven Dingen suchen, die sie tun können, ob sie entschädigt werden oder nicht. Wir brauchen Grundlagen: Nahrung, Unterkunft, Kleidung und sinnvolle Möglichkeiten, unsere Zeit zu verbringen. Ich denke jedoch, dass sich die Art der Arbeit, die wir leisten, mit der Weiterentwicklung der Technologie absolut ändern wird.

Wenn Sie auf Ihre Kindheit und Jugend zurückblicken und sich an die Gesellschaft erinnern, in der Sie aufgewachsen sind: Was sind die Hauptunterschiede, wenn es um Werte und soziale Normen damals und heute geht?

Cerf: Wir haben damals mehr miteinander geredet. Die Privatsphäre schien weniger bedroht. Wir waren weniger anfällig für sozialen Stress, der von den sozialen Online-Medien von heute zu kommen scheint. Auf der anderen Seite war es schwieriger, Informationen zu finden – jetzt haben wir sie zur Hand. Wir mussten etwas mehr arbeiten, um unterhalten zu werden – keine schlechte Sache. In gewisser Weise haben wir unsere Freizeit besser genutzt – die heutige Welt scheint in kleinere Teile zersplittert zu sein.

Inwieweit glauben Sie, dass die künstliche Intelligenz und die damit verbundenen gesellschaftlichen Entwicklungen die Perspektive der Menschheit auf sich selbst verändern können; wie können wir die berühmte Frage von Immanuel Kant: „Was ist der Mensch“ beantworten?

Cerf: Ich denke, wir werden uns fragen, was es heißt, intelligent zu sein – wir werden feststellen, dass „Maschinen“ manche Dinge besser können als wir. Letztendlich hoffe ich, dass künstliche Intelligenz und Machine Learning zu Werkzeugen werden, die es uns ermöglichen, effektiver zu arbeiten – und nicht Konkurrenten unserer Spezies sind. Ich vermute, dass wir auch die nicht-menschliche biologische Intelligenz mehr schätzen lernen werden – zumindest hoffe ich das.

Interview: Alexander Görlach

Das Interview ist Teil der Interview- und Essaysammlung „Entering a new Era“.

Chirurgen operieren  mit dem da-Vinci-Roboter. Das System verfügt über ein vergrößertes 3D-High-Definition-Vision-System und winzige Handgelenksinstrumente, die sich viel stärker biegen und drehen als die menschliche Hand. Die Chirurgen operieren durch wenige kleine Schnitte (Bild: Getty Images/BSIP/UIG)