Tina, die App gegen häusliche Gewalt
CEO Renata Albertim erklärt, wie sie mit ihrem inspirierenden Start-up "Mete a Colher" - Teil des F-LANE-Programms 2020 - das Gespräch über häusliche Gewalt in Brasilien verändert.
In Brasilien gilt das Sprichwort: „Em briga de marido e mulher, ninguém mete a colher“, was grob übersetzt bedeutet: „In Streitigkeiten zwischen Mann und Frau sollte man sich nicht einmischen“, und es erfasst das Problem der häuslichen Gewalt in Brasilien. Diese in der brasilianischen Gesellschaft tief verwurzelte Haltung hat enorme Folgen, da laut Mapa da Violencia täglich durchschnittlich 13 Frauen im Land getötet werden.
Heute ist der „International Day for the Elimination of Violence Against Women“. Dies ist der richtige Zeitpunkt, um über die großartige Arbeit von Mete a Colher zu berichten, dem brasilianischen Start-up, das sich buchstäblich in häusliche Angelegenheiten „einmischt“ und Frauen unterstützt, die Opfer von häuslicher Gewalt sind.

Die Idee für Mete a Colher wurde im März 2016 bei einem Workshop geboren. CEO Renata Albertim erzählt: „Eine der Frauen aus meinem Team erzählte mir von einem Fall, den sie erlebt hatte, und so kamen wir auf die Idee, eine Lösung für das soziale Problem der häuslichen Gewalt zu schaffen. Alles begann mit der Einrichtung einer Facebook-Seite, auf der Mete a Colher anbot, sich Berichte von Missbrauchsopfern anzuhören. Die Botschaften der Anhänger:innen zeigten uns, wie wichtig es ist, über das Thema zu diskutieren, und wie wichtig es ist, diejenigen zu unterstützen, die Hilfe brauchen.“
Ändern der Situation in Brasilien

Renata und ihr Team schufen Tina, eine App, die brasilianische Frauen in direkten Kontakt mit Fachleuten bringt, die ihnen helfen können – von Anwälten und Psychologen bis hin zu anderen Frauen, die ebenfalls unter häuslicher Gewalt litten. Die App enthält spezielle Sicherheitsfunktionen wie zum Beispiel das sofortige Löschen vergangener Gespräche vom Mobilgerät. Das Start-up hat in den vergangenen Monaten einiges erreicht: Die Tina-App wurde bisher 16.000 Mal heruntergeladen und Mete a Colher wurde aus über 400 Bewerber:innen ausgewählt, um an F-LANE teilzunehmen, dem globalen Accelerator-Programm des Vodafone Instituts für von Frauen geführte Technologie-Start-ups. In diesem Jahr fand das Programm zum ersten Mal virtuell zwischen September und November 2020 statt.
Durch seine Arbeit verändert Mete a Colher die Debatte über häusliche Gewalt in Brasilien. Laut Renata geht es Brasilianerinnen oft mehr darum zu fragen, warum Frauen in einer missbrauchenden Beziehung sind, als zu verstehen, warum Männer den Missbrauch ausführen. Indem Mete a Colher die Tabuisierung des Themas in Frage stellt, gibt es Tausenden von Frauen das Selbstvertrauen, vorzutreten und Fälle von häuslicher Gewalt zu melden.
Auf die Frage nach diesen kulturellen Veränderungen in Brasilien erklärt Renata: „Ich habe das Gefühl, dass die Menschen bereit sind, von Tag zu Tag mehr über häusliche Gewalt zu erfahren, mehr zu erfahren, um die Schwierigkeiten von Frauen zu verstehen, aus einer gewaltätigen Beziehung zu entkommen. Auch wollen viele Personen sich selbst besser zur Verfügung zu stellen, um anderen Frauen zu helfen. In Brasilien gibt es immer mehr Projekte und NGOs zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und auch viele Unternehmen machen sich diese Agenda zu eigen und ergreifen wirksamere Maßnahmen zur Bekämpfung sowie zur Unterstützung weiblicher Mitarbeiterinnen, die unter häuslichem Missbrauch leiden. Ich glaube, dass diese Bewegung ein großes Wachstumspotential hat.“
Was können öffentliche Institutionen tun?
Könnte die Regierung und die öffentlichen Dienste mehr tun, um Frauen zu helfen, die Opfer häuslicher Gewalt sind? Das brasilianische Gesetz Maria da Penha, das die Opfer häuslicher Gewalt schützt, gilt als das drittbeste Gesetz der Welt, das sich mit diesem Thema befasst. Renata erklärt jedoch, dass es trotz gut gemeinter und gut konzipierter Gesetze und öffentlicher Politik an finanziellen Investitionen für die Erhaltung und Verbesserung bestehender Strukturen mangelt. Dies gilt insbesondere für ländliche Gebiete, da die Mittel oft stärker in den (Haupt-)Städten konzentriert sind: „Die Aufgabe von Mete a Colher ist es, die Kluft zwischen Frauen, die Opfer von Gewalt sind, und der öffentlichen Politik zu überbrücken. Deshalb bemühen wir uns täglich darum, die öffentlichen Strukturen zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen zu stärken“, erklärt Renata.

Während der Pandemie und der Lockdowns wurde es sehr deutlich, dass die Politik sich verbessern und innovativere Lösungen für Frauen finden muss, um besonders online Unterstützung zu erhalten. Das Problem der häuslichen Gewalt ist dringender denn je und das gilt nicht nur für Brasilien, sondern auch für den Rest der Welt. Laut UN Women erlebt weltweit jede dritte Frau körperliche oder sexuelle Gewalt, meist durch einen Partner und diese Zahl ist seit dem Ausbruch von COVID-19 deutlich gestiegen, wobei die UN von einem Anstieg der Fälle um 20% ausgeht. Die Geschichte von Mete a Colher ist ein inspirierendes Beispiel dafür, wie Frauen das globale Problem der häuslichen Gewalt frontal angehen, in einem Land, in dem die Chancen gegen sie standen.