Gründerinnen brauchen nahbare Vorbilder
Bei der Vorstellung der Vodafone-Institut-Studie zur Situation von Gründerinnen in der deutschen Digitalwirtschaft sind sich die Diskutantinnen einig: Es braucht einen Kulturwandel. Jetzt!
„Habituelle Prägung“. Das klingt so harmlos-putzig, als handelte es sich um ein Naturgesetz, dass das dominierende Geschlecht in der Digitalbranche die Kultur der besonders ausgeprägten Selbstdarstellung pflegt. Tijen Onaran grinst verschmitzt, wenn sie nach ihrer Erfahrung aus der Praxis gefragt wird. „Männer“, antwortet die Initiatorin des Netzwerks Women in Digital e.V., „scheuen sich nicht, selbst bei völliger Ahnungslosigkeit dennoch Kompetenz vorzutäuschen.“ Frauen ticken da anders. Zum Glück, findet nicht nur Onaran.

Wie Gründerinnen in Deutschlands Digitalwirtschaft ihre Situation empfinden, und mit welchen Hürden sie in der vermeintlich ach-so-weltoffen-modernen Startup-Szene zu kämpfen haben, das war am Dienstag (6.12.2016) rege debattiertes Thema im Vodafone Institut für Gesellschaft und Kommunikation.
„Neue Welt und alte Rollen?“ lautet der durchaus provokante Titel einer neuen Studie, die jetzt in Kooperation mit Women in Digital publiziert und vorgestellt wurde – darin enthalten eine Menge mal erstaunlicher, mal nachdenklich, mal verdrießlich stimmender Fakten.
Etwa diese: 64 Prozent der insgesamt 134 befragten Gründerinnen und Experten sind der Meinung, dass Frauen im Lande es bei der Unternehmensgründung noch immer deutlich schwerer haben als Männer. 62 Prozent fühlen sich bei der Vergabe von Krediten durch Investoren im Vergleich benachteiligt.
„Das hat uns überrascht“, sagt Alice Steinbrück, Head of Social Business im Vodafone Institut und Mitautorin der Studie. Zumal vor dem Hintergrund, „dass das gängige Klischee, dass es keine Frauen mit Tech-Kompetenz gibt, veraltet ist“.
Dieser These, die alle Diskutantinnen teilten, gab Miriam Wohlfarth ein Gesicht. Die Marketingexpertin ist Mitgründerin der RatePAY GmbH, einem Unternehmen, das erfolgreich E-Payment-Lösungen für den Onlinehandel anbietet. Wohlfarth kennt den zähen Weg durch die Bürokratie, sie kennt das Gefühl, wenn die Agentur für Arbeit auch den dritten Antrag auf Gründerzuschuss ablehnt („Mit einer Imbissbude oder einem Laden für Handarbeitsbedarf wäre es leichter gewesen“). Die Entrepreneurin aus Leidenschaft weiß aber auch: Es lohnt sich. Man brauche realistische Ziele und, ganz wichtig, nahbare Vorbilder, um als Gründerin alle Hürden zu überwinden. „Nach dem Motto: Wenn die das schafft, kann ich das auch schaffen.“

Laut „Startup Monitor 2016“ liegt der Frauenanteil in Gründerteams in Deutschland bei lediglich 13,9 Prozent. Als einen Grund dafür – neben der Abneigung gegen branchenüblich exaltierte Selbstdarstellung etwa bei Pitches – nannten die Diskutantinnen bei der Vorstellung der Studie: Es mangelt an Vernetzung untereinander sowie an Mentorinnen.
Tijen Onaran moniert: „Es fällt mir bei vielen Frauen auf und speziell bei Gründerinnen, dass sie warten, bis jemand auf sie zukommt, der sagt: ‚Du hast ein hammertolles Produkt, lass mich dein Mentor sein!’ Das passiert aber selten.“ Sie plädiert für „weniger Betroffenheit, sondern für mehr Empowerment“. Für mehr Selbstbewusstsein also.

Stephanie Birkner sieht es genauso. Seit 2014 lehrt und forscht die Juniorprofessorin an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg im Bereich „Female Entrepreneurship“. Birkner sagt: „Gründung an sich hat kein Geschlecht. Menschen schaffen mit Blick auf sich und andere ‚Genderschubladen’, und diese prägen auch unsere Vorstellungen vom unternehmerischen Denken und Handeln.“ Dabei sei es bedeutsam, Mädchen in der Schule und jungen Frauen in der Ausbildung frühzeitig zu vermitteln: „Du selbst kannst dein Leben, deine Erbwerbsbiografie gestalten. Du hast es in der Hand.“ Doch diese Botschaft einer „Entrepreneurship Education“ komme leider oft noch nicht an.
Sofie Quidenus sieht es ähnlich. In der Studie lässt sich die Gründerin von Quidenus Technologies, einem auf automatisiertes Buchscannen spezialisierten Startup, mit den Worten zitieren: „Leider haben Frauen durch die Sozialisation oft die Priorität, bloß keine Fehler zu machen. Wenn junge Mädchen eher für Perfektion als für Risikobereitschaft Anerkennung bekommen, kann das später dazu führen, dass Situationen vermieden werden, in denen man versagen könnte.“
Was also tun als Frau gegen unübersehbare „strukturelle Benachteiligungen“ und „soziale Gefüge in der Startup-Community“, mit denen sich Unternehmerinnen laut Birkner vielfach nicht identifizieren können? Ganz sicher nicht: jammern, beklagen, zaudern, befanden unisono die drei Expertinnen auf dem Podium, die auch an der Vodafone-Institut-Studie beteiligt gewesen sind. „Wir brauchen keinen Betroffenheits-Feminismus – oder einen Feminismus 4.0, wenn man so will“, rief Netzwerk-Gründerin Tijen Onaran unter dem Geschmunzel des Auditoriums: „Wir brauchen mehr Empowerment.“ Frauen wollen nicht als Opfer gesehen werden, „sondern als Chancen-Wahrnehmerinnen“.
Nicht umsonst gaben wohl 91 Prozent der Studien-Teilnehmerinnen an, ihr Unternehmen gegründet zu haben, um sich selbst zu verwirklichen – und nur 20 Prozent, dass sie es aus finanzieller Notwendigkeit taten.
Unterm Strich steht zur Lage von Gründerinnen in der deutschen Digitalwirtschaft die Botschaft: „The soft issues are the hard issues.“ Weiche Faktoren wie Sozialisation, Kommunikation und öffentliche Wahrnehmung werden als größere Hürden wahrgenommen als harte Faktoren wie IKT-Kompetenzen oder die Betreuung der eigenen Kinder während der Arbeitszeit.
„Um Investoren und Kunden zu überzeugen, kann man nur bei sich selbst beginnen“, meint Miriam Wohlfarth. Und wie? „Nicht nur die eigene Idee, sondern auch die eigene Person verkaufen, Mur zur Lücke haben, eigene Netzwerke gründen. So werden wir Vorbilder für die nächste Generation von Gründerinnen.“ Und diese Generation soll dann wesentlich mehr Anteil haben in Gründerteams in Deutschland als die mageren 13,9 Prozent von heute.