Der Kampf gegen die Latenz

Der Kampf gegen die Latenz

Bloß keine Zeit verlieren: Der neue Mobilfunk-Standard 5G und Tempo bolzende Glasfaserleitungen geben der Industrie 4.0 und der Gigabit-Gesellschaft einen kräftigen Schub.

Latenz ist das Zögern, bevor es losgeht. Latenz ist das kurze Hinterfragen zwischen Denken und Sprechen, das verspätete Reagieren live zugeschalteter TV-Korrespondenten und meint auch die Distanz, die ein Fahrzeug zurücklegt, bevor die Bremsen greifen. Läuft ein Kind vors Auto, kann Latenz tödlich sein.

Deshalb sagt Frank Ellinger der Latenz den Kampf an. Mit den Kollegen im von Ellinger koordinierten Projektclusters FAST entwickelt er Kommunikationssysteme, die innerhalb einer Millisekunde reagieren, also faktisch in Echtzeit. Das hilft nicht nur im Auto, sondern auch beispielsweise auch in der Medizintechnik und der Industrie 4.0.

Frank Ellinger bei Digitising Europe

Wider der Latenz: Wissenschaftler Frank Ellinger entwickelt Echtzeit-Kommunikationssysteme (Foto: Vodafone Institut)

Sich entfalten können sich solche Systeme in Autos, die bestückt sind mit echtzeitfähigen, vernetzten Sensoren und Aktuatoren, diversen Kameraassistenz- und Echtzeitinformations-Systemen, körperhaltungsgesteuerten Airbags, hochgenauer Motorsynchronisation und nicht zuletzt mit HD-Video-Entertainment. Ellingers Problem: All diese Geräte gibt es längst, doch für deren Vernetzung, Auswertung und Kontrolle müssen sehr viele Daten sehr schnell fließen.

Mehr als 100 Megabit pro Sekunde sind bislang nicht drin, und das reicht nicht. „Doch durch die von uns für den Automotivbereich optimierten CMOS-Chips kann die Datenrate auf 1 Gigabit pro Sekunde erhöhen – eine Verbesserung um den Faktor 10“, sagte Ellinger auf dem „Digitising Europe“-Summit. Was ihm dabei ganz wichtig ist: „Wir benötigen hierfür nur einfachen Klingeldraht.“ So können selbst riesige Datenmengen kostengünstig, ultraschnell, sicher und zuverlässig transportiert werden.

Das Netz der Zukunft

Für drahtlose Echtzeitsysteme wird ein ultraschnelles Mobilfunknetz benötigt, das dieses Tempo mitgeht. Dieses Netz heißt 5G und soll in den nächsten Jahren auf den Markt kommen. Es verspricht:

  • eine 100-fach höhere Datenrate als heutige LTE-Netze, bis zu 10 Gigabit pro Sekunde,
  • einen extrem sinkenden Energieverbrauch,
  • Latenzzeiten von unter 1 Millisekunde.

„Mit 5G ergeben sich enorme Möglichkeiten“, sagte Gerhard Fettweis auf dem „Digitising Europe“-Summit. Fettweis ist Koordinator des interdisziplinären „5G Lab“ an der TU Dresden, wo mehr als 600 Experten aus 20 Disziplinen mit mehr als 50 Industriepartnern am Kommunikationsnetz der nächsten Dekade bosseln. Möglichst schon im Jahr 2020 soll 5G europaweit arbeiten. Die Europäische Union hilft, indem sie demnächst das 700-Megahertz-Band für Mobiltelefone und Datenübertragung freigibt. Fettweis freut sich: „Das stellt entscheidende Weichen für die Weiterentwicklung von 5G.“

Klappt alles wie geplant, können Maschinen miteinander und mit Menschen kommunizieren: Autos, Thermostate, Herzschrittmacher und Roboter. 5G wird die bestimmende Technologie für das Internet der Dinge und für die Industrie 4.0. Die Herausforderung liege darin, „die heute existierenden Systeme in den Unternehmen mitzunehmen in die digitale Zukunft“, erklärte Thomas Magedanz auf dem Summit.

Auch dabei könnte 5G helfen, sagte der Leiter des Geschäftsbereichs Next Generation Network Infrastructures am Fraunhofer-Institut FOKUS in Berlin: „5G sorgt erstmals dafür, dass jeder sein eigener Netzwerkoperateur sein kann“ – mit voller Kontrolle über die eigenen Daten.

Das Warten hat ein Ende

5G optimiert nicht nur die Produktion von Dingen. Es kann auch bei Operationen die Handgriffe mehrerer Ärzte koordinieren, die sich an verschiedenen Orten aufhalten. Oder Medizinern helfen, Patienten aus der Ferne zu untersuchen. „Für einen Routine-Check-up müssten alte Leute nicht mehr stundenlang im Wartezimmer sitzen“, sagte Anna Dimitrova, die Leiterin des Ressorts Strategy & Digital bei Vodafone Deutschland.

Ein weiteres Beispiel steuerte TU-Dresden-Forscher Ellinger bei: Mithilfe von Exo-Skeletten, die als Gehhilfen dienen, können sich auch gebrechliche Menschen ohne Rollstuhl bewegen. Vernetzte Sensor- und Aktorsysteme reagieren innerhalb von 10 Millisekunden.

Zahlreiche Ideen werden wahr, wenn Daten schnell und reichlich fließen. Die Gigabit-Gesellschaft braucht Glasfasernetze. Doch diese modernen, zukunftsfähigen Leitungen ließen auf sich warten, sagte Harald Summa, Geschäftsführer des Branchenverbands Eco. Sein Verband habe schon überlegt, der deutschen Politik einen Negativ-Preis zu verleihen, weil sie unverdrossen auf die bereits verlegten Kupferkabel setze. „In fünf Jahren können Sie die im Museum anschauen.“

Auch Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), kritisiert das langsame Tempo der deutschen Politik. „Jeder weiß, dass die Versorgung mit Glasfasern wichtig ist fürs Wachstum“, sagte er auf dem „Digitising Europe“-Summit. Mit Kupfer statt Glasfaser drohten „negative Einflüsse auf die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands“. Jedes zusätzliche Prozent an Glasfaserversorgung ließe das Bruttoinlandsprodukt um rund 600 Millionen Euro steigen, haben IW-Forscher jüngst ausgerechnet. Es gelte, keine Zeit zu verlieren, sagt Hüther: „Wir müssen jetzt starten.“

Auch Hannes Ametsreiter, CEO von Vodafone Deutschland, drängt zum Aufbruch: „5G mit einer Latenz von wenigen Millisekunden – das ist die Zukunft“, sagte er auf dem Summit. „Wer früh auf diesen Zug aufspringt, wird zu den Gewinnern gehören.“

Und wer das versäumt? Wieder eine Frage der Latenz: Auch hier könnte das Zögern fatal wirken.

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