Was Roboter wissen wollen

Was Roboter wissen wollen

Lernende Roboter krempeln die Arbeitswelt für Mensch und Maschine um – Einblick in diese Entwicklung gibt Robotics-Experte Ken Goldberg auf dem „Digitising Europe“-Summit.

Roboter sind folgsame und recht beschränkte Wesen. Das wird sich ändern, erzählt Ken Goldberg auf dem „Digitising Europe“-Summit und wirft das Bild eines Comic-Roboters an die Wand. Auf dessen Brust ein Display, von dem es rot schreit: „You’re fired“ – Sie sind gefeuert. Und der stoische Ausdruck auf seinem Gesicht scheint zu besagen: Mir doch egal.

Das Publikum, kurz überrascht, lächelt unsicher. Genau damit hat Goldberg gerechnet: „Wir brauchen vorerst keine Angst zu haben, dass die Roboter die Macht übernehmen und uns Menschen entlassen“, beruhigte er seine Zuhörer. „Im Kino können Roboter viel mehr als im realen Leben.“ Das allerdings versuchen Goldberg, Leiter des Automation Science Lab an der University Berkeley, und seine Forscherkollegen durch „Cloud Robotics“ gerade zu ändern. Ihr Ziel: der lernende Roboter.

Ken Goldberg at Gigabit Summit (Bild2)

Robotics-Experte Prof. Dr Ken Goldberg über die zunehmende Selbstständigkeit maschinellen Lernens (Foto: Vodafone Institut)

Sobald der Roboter sein Wissen erweitert, kann er komplexere Aufgaben übernehmen. Bislang sind die Maschinen festgelegt auf bestimmte Bewegungs- und Verhaltensmuster. Alles, was aus dem Rahmen fällt, überfordert sie, da sie dafür nicht programmiert sind.

Das stört nicht, wenn Roboter mit den immer gleichen Abläufen Autos zusammenschrauben. Oder wenn sie staubsaugend durchs Wohnzimmer wuseln. Nicht gegen den Tisch zu stoßen lässt sich programmieren. Aber der Ärger ist groß, wenn ein Putzroboter beim Aufräumen die zarte Porzellanvase zerquetscht, weil er zu viel Druck für „ein auf dem Tisch stehendes Gefäß“ ausübt. Was tun? Noch mehr und spezieller programmieren?

Unnötig, sagt Goldberg. Statt die Festplatte des Roboters vollzustopfen, sei es sinnvoller, ihn mit dem Internet zu verbinden: Dort findet er, was er an Informationen braucht, nicht zuletzt über zerbrechliche Vasen. „Roboter können in der Cloud beispielsweise 3D-Modelle von Coladosen und Milchflaschen erkennen, vergleichen und entsprechend fest oder vorsichtig zugreifen“, sagt Goldberg. Hat ein Roboter einige tausend Modelle abgespeichert, kann er ähnliche Objekte selbsttätig einordnen. Und fragile Vasen vorsichtig behandeln. Goldberg: „Damit sind wir tatsächlich beim selbstlernenden Roboter angekommen.“

Wie Roboter lernen

Einmal programmiert, können Industrieroboter ohne viel Wartung monate- oder gar jahrelang die Schweißpunkte an immer dieselbe Stelle setzen. Doch soll ein Roboter selbstständig anspruchsvolle Aufgaben erledigen, deren Umfang er nicht überblickt, ist er überfordert, also unsicher. „Unsere Aufgabe besteht darin, diese Unsicherheit möglichst auf Null zu senken“, sagt Goldberg. Dabei meint er nicht nur das Know-how der Maschine, sondern auch die Art, wie sie sich im Raum bewegt: Sie muss reagieren, ihre Aktionen immer wieder an die Situation anpassen.

Ein Roboter nimmt seine Umgebung über Kameras, Kraftmesser oder laserbasierte Entfernungssensoren wahr. Seine Computerprogramme verarbeiten die Sensordaten und entscheiden über die nächste Aktion. Dann packt er die Vase, geht einen Schritt oder drückt eine Tür auf. Er greift in seine Umgebung ein und nimmt deren Reaktion mit seinen Sensoren wahr. Dieser Kreislauf aus Wahrnehmen, Entscheiden und Handeln wird ständig durchlaufen, hunderte Male pro Sekunde.

Keynote Ken Goldberg (2)

Prof. Ken Goldberg zeigt einen Ausschnitt des Status Quo: In den verschiedensten Bereichen der Industrie werden bereits hochkomplexe, lernfähige Roboter eingesetzt (Foto: Vodafone Institut)

Neu ist: Der Roboter selbst generiert die Sensordaten, aus denen er lernen soll. Er entscheidet, wie er sich bewegt, wo er hinsieht oder wohin er läuft. Das Ergebnis dieses Lernprozesses verändert wiederum das Verhalten des Roboters, er bewegt sich zum Beispiel effizienter oder läuft sicherer.

Das führt zu einem Dilemma, auf das Forscher des Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme in Tübingen hinweisen: Um etwas dazuzulernen oder besser zu werden, muss der Roboter neues Verhalten ausprobieren, also bewusst von bereits gelerntem Verhalten abweichen. Dabei kann er auch „falsch“ lernen – also etwa die Fähigkeit zu laufen verlieren. „Es geht um Erziehungsfragen“, heißt es aus dem Future of Humanity Institute in Oxford, das sich ebenfalls mit dieser Frage beschäftigt.

Was passiert, wenn Menschen den „roten Knopf“ drücken, um falsches Verhalten zu stoppen? Ein Roboter könnte lernen, den Effekt des Aus-Schalters zu unterlaufen. Der Technikphilosoph Nick Bostrom denkt bereits laut über superintelligente Roboter nach, die sich nicht abschalten lassen.

Jetzt werden die Büros erobert

Der lernende Roboter hat die Forschungslabors noch nicht verlassen. Doch selbst seine weniger wissbegierigen Kollegen sind klug genug, um nach den Fabriken jetzt die Büros zu erobern. Es werden nicht nur Werkbänke geräumt, sondern auch Schreibtische. Maschinen übernehmen Controlling, Übersetzungen und medizinische Diagnosen, sie sortieren Bibliotheken und entwerfen Häuser. Das Mannheimer Forschungsinstitut ZEW hat errechnet, dass in Deutschland gut fünf Millionen Jobs leicht automatisierbar wären – die meisten in Büros.

Die ZEW-Forscher orientieren sich an einer Studie von Michael Osborne und Carl Frey, die für die USA hochrechnen, dass Maschinen – oft Roboter – in den nächsten zwei Jahrzehnten 47 Prozent aller Jobs übernehmen. „Alles, was sich digitalisieren und automatisieren lässt, wird digitalisiert und automatisiert“, prognostiziert Oxford-Ökonom Frey auf dem „Digitising Europe“-Summit. Deshalb müssten sich die meisten Arbeitnehmer in Transport- und Logistikberufen sowie ein Großteil der Büroangestellten nach neuen Aufgaben umsehen. Nicht alle würden gleichwertige Aufgaben finden.

Auch in den Fabriken können Roboter neue Funktionen übernehmen, sobald sie ihren Käfig verlassen dürfen. Heute verrichten Produktionsroboter ihr Schweiß-, Lackier- und sonstiges Tagwerk vorwiegend hinter Gittern – aus Sicherheitsgründen, damit sie keine Menschen verletzen. „Ein Industrieroboter kann ein gefährlicher Geselle sein“, sagt Norbert Elkmann, Leiter des Bereichs Robotersysteme des Fraunhofer-Instituts IFF in Magdeburg.

Solche Roboter wiegen bis zu fünf Tonnen und entfalten enorme Kräfte. Künftige Modelle sollen sehr viel leichter sein. Im IFF-Labor wird erforscht, wann Zusammenstöße mit Robotern den Menschen gefährlich werden und wie sich das verhindern lässt. Elkmanns Ziel: „Roboter und Menschen sollen Hand in Hand arbeiten.“ Und das schon bald. Experten gehen davon aus, dass der Anteil von Mensch-Roboter-Systemen in der Produktion in den nächsten Jahren steil ansteigen wird.

Wo der Mensch gefragt bleibt

Ob in den Fabriken oder in den Büros: Was Roboter besser können als Menschen, werden sie übernehmen. Sie sind schneller, billiger und machen weniger Fehler. Und sie werden dort eingesetzt, wo Menschen überfordert wären – oder gefährdet: Roboter

  • entschärfen Bomben und Minen,
  • kontrollieren Windräder,
  • erkunden die Oberfläche des Planeten Mars,
  • arbeiten bei extremer Hitze oder Kälte,
  • warten Röhren, Schächte und Tunnel und
  • bearbeiten Mikrochips im Labor auf Tausendstel Millimeter genau.

Wo also bleibt der Mensch? Die Antwort von Oxford-Ökonom Frey auf dem „Digitising Europe“-Summit weist den Weg: „In den Bereichen sozialer Intelligenz und Kreativität wird menschliche Arbeit weiterhin einen Wettbewerbsvorteil haben.“ Wohl dem, der komplexe Probleme zu lösen versteht.