„Lebenslanges Lernen ist ein gegenseitiges Investment“

„Lebenslanges Lernen ist ein gegenseitiges Investment“

Peter M. Wald, Professor für Personalmanagement an der HTWK in Leipzig, sieht Weiterbildung als Schlüsselfaktor für die Akzeptanz neuer Technologien und deren erfolgreiche Anwendung.

Die Europäer, speziell die Deutschen, sind Tech-Skeptiker. Nur rund die Hälfte ist der Digitalisierung gegenüber positiv eingestellt. Überraschend für Sie?
Peter M. Wald: Der Zustand weniger, aber die Deutlichkeit der Zahlen. Da könnte man sicher einmal nachforschen, ob es vielleicht auch bei den Arbeitgebern der tech-affinen Staaten wie Indien und China ein grundsätzlich anderes Selbstverständnis gibt. Ich habe in Deutschland immer noch das Gefühl, dass viele Arbeitgeber bei der Weiterentwicklung ihrer Mitarbeiter eine abwartende Rolle einnehmen.

Wie meinen Sie das?
Ich muss eine Sensibilisierung erreichen. Es wird sich keiner aus dieser Digitalisierung herausbegeben können. Die Arbeitswelt verändert sich massiv. Allein die Umstellung der Autoindustrie auf Elektro-Autos wird zahlreiche Jobs kosten, wie die jüngste Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zeigt.

Solche Prognosen gibt es seit Beginn der industriellen Revolution immer wieder. Weniger Arbeit gibt es trotzdem nicht.
Ich glaube trotzdem, dass es diesmal kein Gerücht bleibt. Es wird durch die Digitalisierung zu beträchtlichen Verschiebungen kommen. Und um beim Beispiel Auto zu bleiben: Auch wenn ich kein Spezialist bin, ist mir doch klar, dass ein Elektromotor als Antrieb etwas völlig anderes ist als ein Verbrennungsmotor.

Peter M. Wald ist Professor für Personalmanagement an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur in Leipzig. Er lehrt und forscht seit Jahren zu Führung und Digitalisierung. Weiterbildung sieht er als Schlüsselfaktor für die Akzeptanz neuer Technologien und deren erfolgreiche Anwendung. In der Pflicht stehen dabei die Unternehmen, aber auch die Mitarbeiter selbst (Foto: HTWK Leipzig)

Was kann man da tun?
Man muss verstehen, was da abläuft und Dinge kritisch hinterfragen können. Auch wenn nicht jeder programmieren können muss. Das Wissen zur Digitalisierung darf für die Mehrheit auch oberflächlich sein. Für die Software-Entwicklung selbst braucht es Spezialisten. Wir brauchen mehr Lernangebote. Auch niedrigschwellig, Microlearning etwa, um das Lernen besser in die Arbeitsprozesse zu integrieren. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dürfen beim Lernen nicht allein gelassen werden – was die Studie ja auch zeigt. Aber noch wichtiger als die reine Menge der Weiterbildung ist deren Qualität. Die Weiterbildung muss näher an den Arbeitsprozess heran und dabei geplant und strukturiert ablaufen. Mit ganz klar definierten Zielen. Die Schnittmenge von Arbeit und Lernen ist in den letzten zehn Jahren zwar etwas größer geworden, aber es nützt letztlich wenig, wenn Sie nur viele Kurse anbieten, die aber wenig mit der täglichen Arbeitswirklichkeit zu tun haben. Lernen muss deshalb mehr in die Arbeitsprozesse eingebettet werden. Und was die Arbeitnehmer heute beschäftigt, sind Fragen wie: Wie komme ich mit der wachsenden Informationsflut zurecht? Wie erlange ich Medienkompetenz? Welche Social-Media-Kanäle braucht man wirklich? Aber auch: Wie lerne ich zu lernen?

Ist beispielsweise ein kompletter Arbeitstag für Weiterbildung pro Woche realistisch?
Da wäre ich vorsichtig. Aber ich kann doch versuchen, es als gegenseitiges Investment laufen zu lassen. Der Mitarbeiter investiert Freizeit in seine Weiterbildung, das Unternehmen investiert Arbeitszeit. Mit Weiterbildung könnte man übrigens auch dem Fachkräftemangel begegnen. Das Lebenslange Lernen betrachte ich als ein gegenseitiges Investment.

Die Zahlen der Unternehmen müssen am Ende des Tages bzw. des Quartals aber trotzdem stimmen …
… aber um genau das zu erreichen, kann es sich kein Unternehmen mittel- bis langfristig leisten, auf die massive Weiterbildung seiner Mitarbeiter zu verzichten. Denn dann würde es schlicht die Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Das verstehe ich unter strategischem Management, die Fähigkeit, das normale Geschäft weiterlaufen zu lassen und gleichzeitig innovative Lösungen zu erkennen und sogar disruptive Geschäftsfelder auszubauen. Zudem müssen langfristige Beziehungen zu Universitäten und Hochschulen hergestellt werden, um Talente rechtzeitig zu gewinnen. Das möglich zu machen, ist die Aufgabe eines guten Managements.

Wer seine Mitarbeiter gut schult, spart sich also auch teures Nachrekrutieren?
Teilweise. Andererseits müssen immer auch Spezialisten dazugekauft werden.

Das nächste Problem. Versuchen Sie heute mal, Daten-Analysten, Web-Developer oder gar KI-Experten zu bekommen. Und vor allem zu bezahlen.
Sicher. Aber auch hier können gezielte Weiterbildungsangebote helfen. Denn genau diese sind auch wichtige Faktoren der Arbeitgeberattraktivität. Das beweisen auch unsere eigenen Studien. Wir haben uns das bei IT-Studierenden und Berufseinsteigern angesehen: Die fachliche Weiterbildung bzw. die Fachlaufbahn ist ein ganz wichtiger Punkt. Übrigens nicht erst seit heute, schon seit einigen Jahren. Und es gibt weitere Anforderungen, die nicht unmittelbar mit Geld zusammenhängen: Man legt Wert auf nette Kollegen. Man muss sich mit den Werten des Unternehmens identifizieren, „Cultural Fit“ eben. Und auch die Arbeitsbedingungen, wie Arbeitszeit und Arbeitsort will man selbst gestalten können. Da können Arbeitgeber mit Flexibilität eine Menge erreichen.

Auf das Thema Weiterbildung zahlen sicher auch Online-Kurse ein. In Europa führen diese immer noch ein Nischendasein. Wir sind da im einstelligen Prozentbereich.
Das hat traditionelle Gründe. Kritiker würden unsere Institutionen „angestaubt“ nennen. Viele Unternehmen, aber auch manche Universitäten haben die Möglichkeiten – Webinare etwa – noch gar nicht so richtig wahrgenommen. Dabei sind Angebote wie etwa Udemy sehr spannend. Das wird zunehmen. Und auch zunehmen müssen. Nicht nur weil es bequemer für die Studenten ist, sondern vor allem auch kostengünstiger. Allerdings sind manche Universitäten noch sehr frontal orientiert, hier herrscht das klassische Hörsaalprinzip. Immerhin werden mancherorts die Angebote zumindest ausgebaut. Und auch wir testen „Flipped Classroom“-Konzepte, wo Unterrichtsinhalte zuhause erarbeitet werden und dann an der Uni geübt wird. Da gibt es schon Erfahrungen. Aber sie sind sicher noch ausbaufähig. Bei der Einführung dieser Konzepte müssen die Personalbereiche unbedingt eine aktivere Rolle als bisher übernehmen, um Weiterbildung nachhaltig zu machen.

Interview: Friedrich Pohl

Weiterbildung ist ein Schlüsselfaktor für die Akzeptanz neuer Technologien und deren erfolgreiche Anwendung (Foto: Phototalk)