Wie kann und wird die Digitalisierung den Stahlhandel aufmischen, Herr Rühl?
Rühl: Unsere Branche arbeitet sehr traditionell, da hat sich seit 50 Jahren wenig getan. Aufträge werden immer noch häufig per Telefon oder Fax erteilt. Das wird sich disruptiv ändern durch die Digitalisierung, und damit meinen wir vor allem Vernetzung. Wir streben die vollständige digitale Vernetzung mit Kunden, Lieferanten und sogar Wettbewerbern an und wollen bereits im kommenden Jahr sämtliche Prozesse über eine digitale Industrieplattform abwickeln. Das wird die gesamte Branche revolutionieren.
Warum ist das nötig?
Rühl: Mit einer effizienteren Lieferkette sparen wir zunächst Kosten ein. Nehmen Sie nur das Beispiel „Predictive Sales“: Je genauer wir den Absatz vorhersagen können, desto weniger Bestände müssen wir auf Lager halten. Dasselbe gilt für unsere Lieferanten – sobald sie über dasselbe Wissen verfügen. Deshalb halten wir es für sinnvoll, eine gemeinsame Industrieplattform zu schaffen. Dort sollen auch Händler agieren, die unser bestehendes Produktportfolio erweitern können oder in Regionen tätig sind, die wir nicht abdecken.
Miteinander statt gegeneinander – gehen Ihre Wettbewerber diesen 180-Grad-Schwenk mit?
Rühl: Die Offenheit wächst, sobald sie erkennen, dass sonst Player von außerhalb der Branche den Stahlhandel aufrollen können – das wäre existenzbedrohend. Mit einer gemeinsamen, starken Plattform können wir uns dieser Konkurrenz erwehren.
Welchen Vorteil haben die Kunden?
Rühl: Durch die Bündelung der Angebote von zahlreichen Produzenten und Großhändlern werden wir neue Branchenstandards in Bezug auf Angebotsvielfalt und Preistransparenz setzen. Denkbar ist auch, dass nicht nur Stahl, sondern auch andere Materialien über die Plattform bezogen werden können, was den Nutzen für unsere Kunden weiter erhöht.
Woher holt Klöckner die Mitarbeiter, die den digitalen Wandel vorantreiben?
Rühl: In der Stahlindustrie sind die Leute, wie in anderen eher traditionellen Branchen auch, oftmals operativ sehr gut, aber es gibt nicht unbedingt viele kreative Vordenker. Dies wurde in der Vergangenheit allerdings auch kaum verlangt oder gewünscht. Deshalb haben wir weit entfernt von unserer Duisburger Zentrale in Berlin unser eigenes Start-up gegründet: kloeckner.i. Dort sitzen zwei Dutzend Mitarbeiter, die ziemlich autark arbeiten und ganz anders ticken. Die Konzerndenke ist: Wenn ich etwas ändern will, muss ich lange planen und ein großes Budget in die Hand nehmen. Bei kloeckner.i wird das Herangehen komplett umgedreht: Jetzt gehen wir schnell mit digitalen Lösungen in den Markt, die zunächst nur die einfachsten Funktionen abdecken. Verbesserungen und Weiterentwicklungen nehmen wir im laufenden Betrieb, in enger Kooperation mit unseren Kunden vor. Diese Herangehensweise müssen wir uns aber auch insgesamt mehr zu eigen machen.
Werden solche Aktivitäten vom Klöckner-Management skeptisch beäugt oder vorbehaltlos unterstützt?
Rühl: Wir befinden uns mitten in einem Transformationsprozess und setzen daher bewusst Menschen in verantwortliche Positionen, die den Wandel aktiv vorantreiben. Dass jemand operativ gut ist, reicht nicht mehr.
Klöckner ist vor zwei Jahren aufgebrochen auf dem Weg zur Digitalisierung. Wie weit sind Sie gekommen?
Rühl: Die Fortschritte sind sehr erfreulich: Erste Lösungen wie unser Kontraktportal und unser neuer Webshop sind erfolgreich im Einsatz. Auf unser digitales Angebot können Kunden in Deutschland mittlerweile zentral unter www.kloeckner.de zugreifen. Insgesamt erzielen wir bereits rund 9 Prozent unseres Umsatzes über digitale Kanäle – Tendenz steigend. Bereits für nächstes Jahr ist die Industrieplattform mit der Integration von Wettbewerbern geplant. Bis dahin müssen wir aber noch einige Herausforderungen meistern. Was wir auf dem Weg feststellen: Die Digitalisierung bringt uns auf viele neue Ideen, wie wir unser Geschäft neu und anders angehen können. Dazu aber müssen wir die Kompetenz erwerben, diese Ideen auch zu realisieren.
Mit anderen Worten: Es ist mühsamer als gedacht, einen traditionellen Stahlhändler in die Gigabit-Gesellschaft zu befördern.
Rühl: Nicht mühsamer, aber sehr herausfordernd. Man muss sich rechtzeitig auf den Weg machen, um die Vielfalt der Möglichkeiten überhaupt entdecken zu können und den Anschluss nicht zu verlieren. Deshalb rate ich allen Mittelständlern, die mit der Digitalisierung hadern: Fangt an! Probiert einfach mal was aus! Das muss nicht gleich viel kosten. Kleine Projekte zum Einstieg in das Thema sind immer noch besser, als nichts zu tun. Die digitalen Veränderungen werden so schnell kommen und so umwälzend sein – da sollte niemand Zeit verlieren.