Das globale Rennen um die KI-Vorherrschaft
Der Einfluss von KI ist heute allgegenwärtig. So nimmt auch der Wettbewerb zwischen den Ländern zu: Einige Beobachter sprechen sogar von einem neuen „Wettlauf ins All“.
Zwei Zitate werden von Journalisten und Forschern verwendet, um den aktuellen Stand der Dinge im globalen Wettlauf um die KI-Führung zu beschreiben. Das erste kommt vom ehemaligen US-Präsidenten Lyndon B. Johnson. Vor sechzig Jahren, noch als Senats-Mehrheitsführer, gab Johnson eine dramatische Warnung an seine Mitsenatoren heraus: Wer im kommenden Wettlauf ins All die Vorherrschaft erlange, würde „Kontrolle, totale Kontrolle, über die Erde zum Zwecke der Tyrannei oder im Dienste der Freiheit“ erlangen. Das zweite Zitat stammt vom russischen Präsidenten Wladimir Putin. Während einer Rede vor Studenten im Jahr 2017 erklärte Putin, dass die erste Nation, die im Bereich der KI die Führung erlangt, „Herrscher der Welt“ werden würde. Beide Zitate zeigen deutlich die Macht des Narrativ auf, das sich um KI herum gebildet hat. Weit davon entfernt, auf Start-ups und Silicon-Valley-Gurus beschränkt zu bleiben, hat der KI-Hype die politische Agenda der Weltführer erobert und ein Feuerwerk an neuen Plänen und Erklärungen ausgelöst, angetrieben von der Vorstellung, dass derjenige, der in diesem Bereich die Vorherrschaft erlangt, einen strategischen Vorteil gegenüber seinen Konkurrenten erringt und eine Lücke schafft, die in naher Zukunft unmöglich zu schließen sein wird.

Auf der Suche nach dem Wendepunkt, der zum Auftakt des globalen KI-Rennens beigetragen hat, deuten manche auf den Sieg von Googles AlphaGo gegen den chinesischen Go-Großmeister Ke Jie im Jahr 2017: Vor dem dramatischen Hintergrund der alten chinesischen Wasserstadt Wuzhen bestätigte das Spiel die beeindruckenden Verbesserungen des maschinellen Lernens, die AlphaGo bereits im Jahr zuvor in Südkorea gezeigt hatte. Es scheint nicht weit hergeholt, Ke Jies Niederlage durch ein Computerprogramm als Chinas eigenen Sputnik-Moment zu bezeichnen – die einzelne Episode, die ein nationales Bewusstsein und ein Gefühl der Dringlichkeit in Bezug auf das Potenzial von KI (und, was am wichtigsten ist, in Bezug auf den beständigen Vorsprung, den amerikanische Tech-Riesen auf diesem Gebiet gewonnen haben) hervorrief.

Das Endergebnis war die Vorstellung einer sehr ehrgeizigen Initiative der chinesischen Regierung, die darauf abzielt, das Land bis zum Jahr 2030 als weltweit führend im Bereich der künstlichen Intelligenz zu positionieren. Die Pläne des chinesischen Staatsrates vom Juli 2017 wollen den Gesamtwert des chinesischen KI-Marktes bis zum Jahr 2030 auf 127 Milliarden Euro anheben: Solche riesigen Zahlen erscheinen zunehmend realistisch, da private Unternehmen wie Tencent und Alibaba ihre ganze Kraft in die Strategie der Regierung einbringen und andere ergänzende Regierungspläne in Bereichen wie Bildung und Infrastruktur rasch folgen. Der Umfang und die Größe dieser konzertierten Aktionen zeigen deutlich, dass die chinesischen Staats- und Regierungschefs sehr zuversichtlich sind, was ihre Erfolgschancen im kommenden Rennen angeht – und sie haben allen Grund dazu. China verfügt über alle entscheidenden Voraussetzungen für einen KI-Durchbruch: Die Volksrepublik kann sich auf eine massive, konstante Zunahme der Rechenleistung verlassen und dank der unübertroffenen Größe ihres Binnenmarktes, der Allgegenwart digitaler Technologien und der nahezu unbegrenzten Überwachungsbefugnisse ihres Regierungsapparates auf ein nahezu unerschöpfliches Datenreservoir zur Versorgung ihrer neuen Supercomputer zurückgreifen.

Andere Regierungen und Institutionen sind dem chinesischen Beispiel in den letzten Monaten gefolgt und befürchten, dass sie eine historische Entwicklung verpassen könnten. Der französische Präsident Emmanuel Macron hat kürzlich in einem Interview mit der Zeitschrift Wired seine eigenen Pläne vorgestellt, und die Europäische Union bekundete, den Gesamtwert der Europäischen KI-Investitionen (privat und staatlich) bis 2020 auf 20 Milliarden Euro anheben zu wollen, um China und die USA einzuholen. Unterdessen investieren amerikanische Unternehmen weiterhin massiv in KI und absorbierten im Jahr 2016 laut einer Studie von McKinsey 66 % der weltweiten Investitionen. Dennoch hat die US-Regierung, mit der bemerkenswerten Ausnahme einiger von der Pentagon-Agentur DARPA finanzierter Programme, bisher keine Absicht gezeigt, öffentlich finanzierte Anstrengungen zu unternehmen, um ihren derzeitigen Status als globaler KI-Führer zu verteidigen, was bei Entscheidungsträgern und Beobachtern Bedenken hervorruft. Andere Spieler, die unterm Radar laufen, sind der digitale Pionier Japan, und selbst kleinere Mächte wie Kanada, Norwegen und Russland zeigen keine Absicht, zurückgelassen zu werden, wobei Letztere hoffen, im Bereich der militärischen KI-Anwendungen und der Cyber-Kriegsführung führend zu werden.

Das KI-Rennen scheint offen zu sein. Es könnte eine der historisch bedeutendsten geopolitischen Konfrontationen seit den Anfängen des Weltraumzeitalters werden. Oder, wie Skeptiker vermuten, weniger einer Neuauflage des Wettlaufs ins All des 20. Jahrhunderts, sondern eher dem nordamerikanischen Goldrausch des 19. Jahrhunderts ähneln: Am Ende könnten die größten Gewinner diejenigen sein, die die algorithmischen Schaufeln und Spitzhacken an die Goldgräber des digitalen Zeitalters verkaufen – also private Unternehmen und Forschungseinrichtungen, die ihre Dienste dem Meistbietenden offerieren. Wie auch immer das Ergebnis aussehen mag, es wird ein Rennen sein, das es wert ist, genau beobachtet zu werden.
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