Europa startet endlich die KI-Aufholjagd
Die EU-Kommission will Europa in einen digitalen Binnenmarkt verwandeln und erklärt ihren Wunsch nach einem europäischen Konzept für Künstliche Intelligenz.
Europa ist spät dran, scheint aber endlich aktiv zu werden: Die EU-Kommission will Europa in einen digitalen Binnenmarkt verwandeln und erklärt ihren Wunsch nach einem europäischen Konzept für Künstliche Intelligenz. Für führende Wissenschaftler, Experten und Unternehmen, die auf einen zentralen Forschungs-Hub in Europa setzen, kommt diese Erklärung gerade noch rechtzeitig.
Auf ihre typisch trockene Art und Weise hat die EU-Kommission eine Mitteilung über Künstliche Intelligenz herausgegeben. Darin heißt es, dass die Kommission „ein auf drei Säulen basierendes europäisches Konzept für künstliche Intelligenz vorschlägt. Erstens braucht es einen Vorsprung in der technischen Entwicklung bei gleichzeitiger Förderung ihrer Akzeptanz seitens des öffentlichen und privaten Sektors, zweitens Vorbereitungen auf die sozioökonomischen Veränderungen durch künstliche Intelligenz, und drittens einen angemessenen ethischen und rechtlichen Rahmen.”
Es wäre zu wünschen, dass sich die EU-Kommission erst einmal grundsätzlich mit KI befasst. Das könnte dabei helfen, eine interessantere und differenziertere Sprache für dieses herausfordernde und aufregende Thema zu finden. Doch Taten sagen mehr als Worte, und Europa scheint endlich bereit, die Dinge voranzubringen.
Die Mitteilung der Kommission verspricht nichts Geringeres als eine europäische Vision eines förderlichen Umfelds für die Veränderungen, die mit KI auf uns zukommen werden. Die wesentliche Einsicht ist, dass die Schaffung eines digitalen Binnenmarkts – einschließlich eines freien und grenzüberschreitenden Datenverkehrs – entscheidend für die Entwicklung von KI ist.
Ein europäischer digitaler Binnenmarkt
Innerhalb von Horizont 2020, dem EU-Rahmenprogramm für Forschung und Innovation, erhöht die Kommission ihre jährlichen Investitionsausgaben für KI um 70%. Für den Zeitraum 2018-2020 werden sie bei 1,5 Milliarden Euro liegen. Dieser Plan umfasst die Vernetzung und Stärkung von Forschungszentren für KI in Europa, die Förderung einer On-Demand-Plattform für KI, die Usern innerhalb der EU Zugang zu relevanten KI-Ressourcen bieten wird, und außerdem die Unterstützung der Entwicklung von KI-Anwendungen in Schlüsselbranchen. Zu letzteren zählen die Robotik, Big Data, Gesundheit, Transport sowie künftige und neu entstehende Technologien.

Zwei Beispielprojekte aus der Landwirtschaft, in die laut EU-Mitteilung investiert wird:
5,4 Millionen Euro gingen an Trimbot2020, ein Projekt für die Entwicklung eines intelligenten Gartenroboters, der Hecken, Rosen und Sträucher schneidet. 19,7 Millionen Euro wurden in MARS investiert, einen mobilen Roboter, der Saatgut aussät und dabei von Arbeitern ferngesteuert kontrolliert wird.
Ein besseres Verständnis für KI entwickeln
„KI wird für fast alle Wirtschaftszweige extrem wichtig werden“, sagt Dr. Holger Schmidt, ein Experte für Digitalwirtschaft. Europa tut richtig daran, am Wissenstransfer in die Wirtschaft zu arbeiten. Doch was ist mit der zweiten Säule? Die Vorbereitungen auf kommende sozioökonomische Veränderungen? Daran arbeitet die EU-Kommission ebenfalls. Im Juni 2018 fand in Brüssel der erste AI Europe Stakeholder-Gipfel statt, organisiert vom Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und der EU-Kommission. Dort wurde hervorgehoben, dass die EU dafür sorgen muss, dass KI sicher, neutral und in Einklang mit europäischen Werten ist. Die Teilnehmer betonten die Bedeutung neuer Bildungsformen, die nicht nur ein besseres Verstehen von KI ermöglichen sollen, sondern Menschen auch darauf vorbereiten, sich einem wandelnden Arbeitsmarkt anzupassen.
Jedoch wissen nicht nur Politiker, dass Europa bald aufholen muss, wenn es eine wahrlich revolutionäre Technologie mitgestalten und von ihr profitieren will: In einem verzweifelten Versuch, Spitzentalente zu fördern und in Europa zu halten,
haben führende Wissenschaftler Pläne für ein riesiges, länderübergreifendes europäisches Institut entwickelt, welches das Flaggschiff der KI-Forschung in Europa werden soll. Die Gründungsabsicht für das neue Institut erinnert an das Cern, das Forschungszentrum für Teilchenphysik in der Nähe von Genf, welches nach dem 2. Weltkrieg gegründet wurde, um die Physik-Forschung in Europa wieder aufzubauen und der Abwanderung der klügsten und besten Forscher in die USA entgegenzuwirken.
Das geplante KI-Institut mit dem Namen European Lab for Learning and Intelligent Systems (oder ELLIS) soll Forschungszentren in einer Reihe von Ländern haben. Jedes dieser Zentren wird Hunderte von Informatikern, Mathematikern und anderen Wissenschaftlern beschäftigen. Das ausdrückliche Ziel ist es, Europa zu einem Vorreiter in der KI-Forschung zu machen.
Einen sehr wichtigen und nötigen Schritt dabei nennt Holger Schmidt: „Eine der dringendsten Aufgaben für Europa liegt darin, Arbeitsumgebungen zu schaffen, die den Brain Drain abwenden. KI-Spezialisten sind in vielen Wirtschaftszweigen äußerst gefragt.”
Ein europäisches KI- Wissenschaftsinstitut
Und tatsächlich kommen Europa und KI gerade zusammen in Fahrt. In einem offenen Brief, den die deutsche Tageszeitung FAZ vorab erhielt, bestätigen mehr als 550 europäische KI-Experten, dass sie einen zentralen Forschungs-Hub errichten wollen, der sich mit jenen in den USA und China messen kann. In dem Exklusivbericht schreibt die Zeitung, dass sich die Forscher auch bereits für einen Namen entschieden haben. Der Name lautet Clair und steht für „Confederation of Laboratories for Artificial Intelligence in Europe“. Europa muss eine Schlüsselrolle dabei spielen, wie KI unsere Welt verändern wird – und es sollte davon auch profitieren, steht im Forscherbrief laut FAZ-Bericht.
Und die letzte, dritte Säule des europäischen Konzepts? Die Sicherstellung eines angemessenen ethischen und rechtlichen Rahmens? Guy Verhoefstadt, ein Mitglied des EU-Parlaments, hat in einem Kommentar für das Projekt syndicate.org diesbezüglich einen Vorschlag gemacht:
„Während andere Länder ebenso über Neuregelungen für Roboter und KI nachdenken, hat die EU die einmalige Gelegenheit“, so schreibt er, „hier eine führende Rolle zu übernehmen. Wenn jetzt gehandelt wird, können wir sicherstellen, dass die EU nicht gezwungen sein wird, sich an den Regularien anderer Länder zu orientieren. Letztendlich brauchen wir ein global verbindliches Regelwerk; und Europa hat nun die Chance, hier die Maßstäbe zu setzen. Wenn jetzt Regelungen und Standards entwickelt werden, kann die EU dafür sorgen, dass die bevorstehenden Veränderungen allen Europäern nützen, anstatt dass wir im Chaos versinken.“
