Susan Neiman: Erwachsenwerden im digitalen Zeitalter

Susan Neiman: Erwachsenwerden im digitalen Zeitalter

Susan Neiman und Heinz Bude sprachen in der "AusZeit" über das Internet als moderne Form der Aufklärung - und den Wert des analogen Buches für die heutige Zeit.

Erwachsenwerden im 21. Jahrhundert: Die digitale Sphäre schließt unseren natürlichen Lebenszyklus längst wie selbstverständlich mit ein. Nicht umsonst spricht man umgangssprachlich gerne von den „digital natives“, im Internet großgewordenen Menschen, vorzugsweise mit Verweis auf jüngere Generationen. Hat sich die Art und Weise des Erwachsenwerdens durch die Digitalisierung verändert, wird die kulturelle Kategorie des Erwachsenseins auf der Spielwiese des World Wide Web gar obsolet?

Susan Neiman, amerikanische Philosophin, Direktorin des Potsdamer Einstein Forums und Autorin der Bücher „Moral Clarity: A Guide for Grown-up Idealists“ und „Why Grow Up?, diskutierte dazu im Rahmen der zweiten Ausgabe der Veranstaltungsreihe „AusZeit“ mit dem Kasseler Makrosoziologen Heinz Bude, der auch diesmal als Moderator durch den Abend führte. Etwa 40 geladene Gäste wohnten dem Zwiegespräch im Soho House Berlin bei.

Susan Neiman bei AusZeit

Susan Neiman im Gespräch mit Heinz Bude: Kann man im digitalen Zeitalter erwachsen werden? (Foto: Vodafone Institut)

Buch oder Computer, analoge Literatur oder Cyberspace. Schnell drehte sich die Diskussion um das Printmedium als womöglich heiligen Rückzugsort digitaler Verweigerer. Wenngleich das Internet angesichts einer nicht messbaren Fülle an Kreativität, kognitiver wie kultureller Bereicherung keineswegs als Antipode zu bereifen sei, besitze das klassische Druck-Erzeugnis nach wie vor einen unschätzbaren Wert für die menschliche Existenz, dessen historische Wurzeln und kommunikative Resonanz.

Dabei betonte Neiman mehrfach die zentrale Bedeutung der Ansichten Immanuel Kants. Kants Feststellung „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“ gelte mehr denn je als Zustandsbeschreibung einer Zeit, in der sich Kreativität und Gefangensein in der digitalen Sphäre diametral und doch so nah gegenüberstünden.

Hat die digitale Revolution das Erwachsenenwerden nun tatsächlich so stark verändert, dass es gar mit mehr Ängsten und Abwehrreflexen seitens der Menschen verbunden ist? Eine überoptimierte Welt, gekennzeichnet durch einen ständigen normativen Zwang des Aktivseins, setze durchaus kontinuierliche Leistungsbereitschaft und permanente Aufmerksamkeit voraus – Umstände, die vielen Menschen Angst einflößen könnten.

Neiman verwies bei aller Skepsis aber auf eine metaphorische Betrachtung des Erwachsenwerdens: Der Mensch könne niemals ganz Erwachsensein, wachse vielmehr täglich an Wissen, Erfahrungen und Herausforderungen. Das Bewältigung des digitalen Zeitalter bilde dabei keine Ausnahme, so Neiman.

Dies ist die zweite Veranstaltung der 2016 gestarteten Reihe „AusZeit“ des Vodafone Instituts für Gesellschaft und Kommunikation. Die Eröffnungsveranstaltung konnte den renommierten Soziologen und Feuilletonisten Hans Ulrich Gumbrecht begrüßen.

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https://www.youtube.com/watch?v=WyKjMeihU1Y